Bob Iger war fest davon überzeugt, dass er fertig ist. Am Abend des 5. November dinierte der ehemalige Walt Disney-CEO bei einer vom Los Angeles County Museum of Art veranstalteten Gala zusammen mit Hollywood-Größen. Seine Ruhestands-Bartstoppeln waren bei der Gala zu sehen, und als er zwischen Rindertortellini und gedünstetem Kabeljau gefragt wurde, ob er es vermisse, CEO des weltgrößten Unterhaltungskonzerns zu sein, antwortete Iger mit Nachdruck: „Nein.“
Anderswo im Disney-Imperium jedoch vermissten ihn loyale Mitarbeitende. Am Sonntagabend verkündete der Unterhaltungsriese überraschend, dass Iger innerhalb weniger Tage wieder an der Spitze des Unternehmens stehen werde, das er 15 Jahre lang geleitet hatte. Sein handverlesener Nachfolger Bob Chapek werde gehen.
Während Chapeks Aufstieg zum CEO im Februar 2020 viele überraschte, war sein Abgang diese Woche ein Schock. Der Rausschmiss erfolgte nur fünf Monate, nachdem der Aufsichtsrat einstimmig beschlossen hatte, seinen Vertrag zu verlängern. Eine Reihe von Fehltritten während seiner fast dreijährigen Amtszeit führte zu seiner Entlassung. Am Ende ging alles sehr schnell, wie Personen berichten, die mit den Ereignissen der vergangenen Woche vertraut sind. Sprecher von Disney und Iger wollten sich nicht äußern.
Als Disney-Veteran mit dem Ruf, neue Wege zu finden, um durch Preiserhöhungen und Sonderveranstaltungen mehr Geld aus den Gästen der Themenparks herauszupressen, war Chapek so etwas wie ein Außenseiter im langen Rennen um die Nachfolge Igers. Die Covid-19-Pandemie begann fast unmittelbar nach seinem Aufstieg an die Spitze des Unternehmens. Chapek sah sich gezwungen, Zehntausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren CEO er nur kurze Zeit war, die Kündigung zu schicken.
Aber auch außerhalb der Krise traf Chapek Entscheidungen, die bei den Mitarbeitern unpopulär waren. Dazu gehörte, dass er sich zunächst nicht gegen ein Gesetz aus Florida stark machte, das die Behandlung des Themas Geschlechtsidentität im Schulunterricht verbietet. Auch die Umgestaltung der Managementstruktur bei Disney traf auf Kritik. Danach konnten die langjährigen Leiter der Fernseh- und Filmabteilungen des Unternehmens nicht mehr selbst bestimmen, wann und wie ihre Arbeiten veröffentlicht werden sollten.
Der Widerstand unter den leitenden Disney-Führungskräften nahm so stark zu, dass er bis zum Board des Unternehmens vordrang. Die Aufsichtsratsvorsitzende Susan Arnold setzte sich mit Iger in Verbindung und bat ihn um seinen Rat. Iger beobachtete damals als Aktionär die Entwicklungen bei Disney, hatte aber nicht die Absicht, in das Unternehmen zurückzukehren. Stattdessen plante er, als Mentor für Unternehmer zu arbeiten, wie zum Beispiel für die Risikokapitalfirma Thrive Capital von Josh Kushner, wo er im September Partner wurde. Erst vergangene Woche war er in Gesprächen über einen Einstieg bei Gerry Cardinales Investmentgesellschaft RedBird Capital.
Nur wenige Tage nach der Gala in Los Angeles meldete Disney jedoch enttäuschende Ergebnisse für das vierte Quartal, die Iger und die Wall Street verblüfften. Das Unternehmen meldete einen Verlust von 1,47 Mrd. Dollar in seinem Direktvertriebsgeschäft, angeführt von dem Streaming-Dienst Disney+. Der darauf folgende Aktienausverkauf war der schlimmste für Disney seit zwei Jahrzehnten. CNBC-Moderator James Cramer forderte daraufhin einen neuen CEO.
Chapek reagierte mit der Ankündigung von Kostensenkungen, deren Ausmaß viele innerhalb und außerhalb des Unternehmens überraschte. Er verhängte einen Einstellungsstopp, forderte die Mitarbeiter auf, alle Reisen zu vermeiden, die nicht unbedingt notwendig waren, und kündigte einen Stellenabbau an. Mehrere Mitarbeiter von Disney-Filmabteilung, die an der Marketingkampagne für die Avatar-Fortsetzung gearbeitet hatten, mussten erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass sie nicht zur Filmpremiere nach London fahren durften.
Führungskräfte, darunter Finanzchefin Christine McCarthy, sprachen mit dem Aufsichtsrat über ihr schwindendes Vertrauen in Chapek. Nelson Peltz' Trian Fund Management baute eine Beteiligung an Disney im Wert von etwa 800 Mio. Dollar auf und strebte einen Wechsel an, berichtete das Wall Street Journal. Es war der zweite Aktivist dieser Art, nachdem Dan Loeb Anfang des Jahres Bedenken gegen Chapek erhoben hatte. Im Einvernehmen mit Loeb nahm das Unternehmen Ende September die frühere Instacart-Chefin Carolyn Everson als Vorstandsmitglied auf.
Nachdem sie die Optionen im Aufsichtsrat geprüft hatte, nahm Arnold Ende letzter Woche Kontakt mit Iger auf und fragte ihn, ob er eine Rückkehr an die Spitze von Disney in Betracht ziehen würde. Am Wochenende einigten sie sich auf einen Vertrag, der 27 Mio. Dollar pro Jahr für zwei Jahre an der Spitze von Disney vorsieht. Nachdem das geklärt war, wurde Chapek mit sofortiger Wirkung entlassen.
„Mit einem unglaublichen Gefühl der Dankbarkeit und Demut – und, wie ich zugeben muss, auch ein wenig Erstaunen – schreibe ich Ihnen heute Abend die Nachricht, dass ich als Chief Executive Officer zur Walt Disney Company zurückkehre“, so Iger in einer E-Mail an die Disney-Mitarbeiter am Sonntag um 21.42 Uhr New Yorker Zeit.
Einige leitende Angestellte von Disney waren bei einem Konzert von Elton John im Dodger Stadium in Los Angeles, das auf Disney+ live übertragen wurde. Ungläubig sie lasen die E-Mail. Chapek sollte den Künstler auf der Bühne vorstellen. Einige Disney-Mitarbeiter hielten Igers E-Mail für einen Hack oder einen Scherz. Der schlechte Handy-Empfang im Stadion trug zur Verwirrung bei, da die Disney-Mitarbeiter den Wahrheitsgehalt der E-Mail und den Führungswechsel nicht verifizieren konnten.
Iger begann den ersten vollen Tag seiner zweiten Amtszeit als Disney-CEO am Montag von New York aus, wo er über die Thanksgiving-Feiertage bleibt. Kaum im Amt machte er wichtige Entscheidungen Chapeks rückgängig: In der ersten Anweisung seiner neuen Amtszeit teilte er den Mitarbeitern mit, dass er gemeinsam mit Führungskräften, darunter McCarthy, an einer neuen Unternehmensstruktur arbeiten werde, „die mehr Entscheidungsbefugnisse in die Hände unserer Kreativteams legt“. Chapeks Schützling Kareem Daniel, der das Film- und Fernsehvertriebsgeschäft des Unternehmens leitete, wurde vor die Tür gesetzt.
In der weltweiten Disney-Zentrale in Burbank und in den Außenstellen sowie in den großen Talentagenturen Hollywoods wurde der Wechsel bejubelt, da Iger den kreativen Geist, der Disney groß gemacht hat, wiederbeleben will. Der ehemalige Disney-CEO Michael Eisner begrüßte Igers Rückkehr auf Twitter, und auch Adam Aron, Chef der größten Kinokette AMC, applaudierte: „Lassen Sie mich das von der Spitze des Berges rufen“, schrieb er auf Twitter. „Ich habe den allerhöchsten Respekt vor Bob Iger.“
Die Disney-Aktien legten im Tagesverlauf um 6,3 Prozent zu und der Konzern steigerte seinen Marktwert um rund 10 Mrd. Dollar. Disney-Expertin Jessica Reif Ehrlich von der Bank of America sagte, sie wünsche sich, dass der Führungswechsel reibungsloser vonstatten gehe, wenn Iger wieder gehe. „Bob Iger ist eine kluge, versierte Führungskraft, er wird sich beim nächsten Mal wirklich einen Nachfolger suchen müssen“, sagte Reif Ehrlich. „Er muss sich jemanden heranziehen.“
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